Es ist fast ein bisschen verwunschen hier: Überall grünt und blüht es, Schmetterlinge tollen umeinander, es surrt und brummt an allen Ecken, im hinteren Bereich ist leises Gackern zu vernehmen. Es ist bereits der dritte Sommer, in dem der Gemeinschaftsgarten „Buntes Grün“ des Mehrgenerationenhauses (MGH) in Essen-Frohnhausen von Hobbygärtnern bewirtschaftet wird. Mitmachen kann jeder, denn das Motto lautet „Offenes Gärtnern.“
Buntes Grün bringt Generationen zusammen
29.07.2020 - von Jennifer Humpfle
Vom Bolzplatz zur Oase
„Die größte Herausforderung ist, uns zu finden“, sagt Patrick Sauer gut gelaunt. Er arbeitet als Sozialarbeiter im Mehrgenerationenhaus und ist seit der ersten Stunde des Bunten Grün 2018 mit dabei. Auf den ersten Blick ist der Garten tatsächlich nicht so einfach zu entdecken. Etwas versteckt liegt er im Innenhof, der durch das MGH, aber auch über Schleichwege zu erreichen ist. Über 15 Hochbeete – selbst zusammengezimmert aus alten Paletten und Holzresten – stehen im Hof und lassen vergessen, dass sich hier mal ein Bolzplatz befand. „Am Anfang hatten wir nur zwei bepflanzte Bäckerkästen“, erinnert sich Jonas Milker, der als Erzieher im MGH arbeitet. „Da konnten sich viele nicht vorstellen, wie daraus ein Garten werden soll.“
Einfach drauf los gärtnern
Während anfangs alle überall gärtnerten, haben die meisten jetzt ihr eigenes Beet. „Wir haben hier keine festen Vorgaben, alle unterstützen sich gegenseitig.“ Wer gerade da ist, gießt die Beete oder schnippelt welke Blätter ab. Wer mitgärtnern möchte, muss nicht viel tun – außer zu erscheinen. „Das Saatgut bestellen wir meist, weil wir die Samen unserer Früchte fürs nächste Jahr nutzen möchten“, erklärt Patrick Sauer. „Im Supermarkt bekommt man in der Regel nur Hybrid-Saatgute für den einmaligen Gebrauch.“ Nachhaltigkeit spielt bei Buntes Grün in allen Bereichen eine wichtige Rolle. So auch bei den Hochbeeten selber, die alle etwas verschieden sind, da sie alle selbst gebaut werden. Das Material dafür ist stets vorhanden und steht allen zur Verfügung. Sogar um das Werkzeug müssen Hobbygärtner sich nicht kümmern: „Wir haben hier Räume, in denen alles Notwendige wie Akkuschrauber und Stichsägen untergebracht sind.“
Wie aus Spülwasser Wasser für die Pflanzen wird
Bei genauerem Hinsehen fällt auf, dass die Hochbeete nicht das einzige Projekt im Garten sind. Das gemeinsame Gärtnern steht ebenso im Mittelpunkt wie die Nachhaltigkeit. So fangen die Hobbygärtner das Regenwasser mit einem großen Sonnensegel ein – unter dem es sich übrigens sehr gemütlich sitzen lässt – und lagern es in Wassertanks. Drei Mal 1000 Kilo fassen die großen Tanks. Der Grauwasserturm dient dazu Grauwasser zu filtern und als Gießwasser zu verwenden. „Spülwasser, in dem nur natürliche Tenside verwenden wurden, eignen sich dazu“, erklärt Jonas Milker. Das Prinzip ist simpel: Das Grauwasser läuft durch groben Kies und Sand und wird abschließend durch Pflanzen gereinigt. Sollte all das gesammelte Wasser nicht reichen, um den Durst der Pflanzen zu löschen, steht außerdem ein Wasseranschluss am Haus zur Verfügung.
Gartengemeinschaft freut sich, wenn auch Ältere mitmachen
Bei den Projekten versuchen die Engagierten möglichst viele Menschen einzubeziehen, egal ob jung oder alt. Der „harte Kern“ aus rund 20 Hobbygärtnern besteht aktuell vor allem aus Jüngeren, teils mit Kindern. „Wir hätten gerne auch Ältere dabei“, betont Patrick Sauer. Auch wenn die Corona-Krise viele Freiwillige mit sich brachte, gilt dies nicht für die Älteren. „Viele trauen sich immer noch nicht wieder. Dabei sind wir hier unter freiem Himmel und können die Abstände gut gewährleisten.“ Ein älteres Paar unterstütze aber aus dem Hintergrund und steuere immer wieder mal Material bei. Regelmäßig treffen sich die Aktiven, um über weitere Projekte zu sprechen. „Betrifft die Planung alle, stimmen wir demokratisch ab.“ Um die Kosten möglichst gering zu halten, wird nicht aus dem Bauch heraus gekauft. „Wir schauen genau, ob eine Ausgabe sinnvoll ist und beantragen öfter Fördergelder.“
Ob klassisch oder exotisch: Von der Ernte profitieren alle
Das große Gewächshaus wurde mit Hilfe der Bürgergelder im Zuge des Grüne Hauptstadt Europas-Jahres möglich. „Ich dachte, das bauen wir mal eben“, verrät Patrick Sauer lachend. Drei ganze Wochenenden brauchten sie, um es hochzuziehen. Der Aufwand hat sich gelohnt! Ein Blick ins Gewächshaus bringt ein bisschen Dschungelfeeling. Hier wachsen und ranken Tomaten, Erbsen und Physalis, aber auch Exoten wie Feigen und Melonen. Die Vielfalt im Gemeinschaftsgarten ist enorm. Neben Klassikern wie Tomaten und Salat wachsen hier Zuckererbsen, Chili, Kürbis und Mangold, zum Teil in einem Beet – unter dem Motto „experimentelles Gärtnern.“ Wenn es ans Ernten geht, gilt: Alles gehört allen. In großer Runde werden die frisch geernteten Tomaten, Zucchini, Beeren und mehr zubereitet und verspeist. Beim Grillen und zusammensitzen können die Hobbygärtner die Seele baumeln lassen.
Gerettete Legehennen erhalten Gnadenbrot
Über alles, was übrig bleibt und was sie essen dürfen, freuen sich die Hühner. Genauer gesagt, neun Hühner und der Hahn „Twix.“ Sie erhalten im Gemeinschaftsgarten sprichwörtlich ein zweites Leben. Denn sie alle wurden gerettet von den Organisationen „Hühnerrettung NRW“ und „Rettet das Huhn“. „Hühner, die nicht mehr ausreichend Eier legen, werden normalerweise geschlachtet. Hier bekommen sie ihr Gnadenbrot.“ Die Tiere – meist aus der Massenhaltung – sind in einem erbärmlichen Zustand, wenn sie im Garten ankommen. Ohne Federn, gestresst. Die gute Pflege wirkt jedoch, die Federn wachsen nach, die Tiere picken entspannt in ihren Näpfen umher. Ab und an legt eine Henne ein Ei. Ein Plan, in dem sich jeder einträgt, regelt, wer sich wann um das Federvieh kümmert.
Gemeinschaft baut Lehmofen und plant Fest für Jung und Alt
Während die Hühner sich gut entwickeln, ist es für andere Bewohner des Gartens nicht so gut ausgegangen: „Unsere Bienenvölker haben den Winter leider nicht überstanden“, sagt Patrick Sauer, der extra einen Imkerkurs belegte, um die Insekten richtig pflegen zu können. „Sie waren von der Varroamilbe befallen. Ich konnte sie leider nicht retten.“ Bald sollen aber vier neue Bienenvölker im Gemeinschaftsgarten Einzug halten. Häufig kommen Jungen und Mädchen aus der MGH Kita Stadtpiraten in den Garten: „Für sie ist das alles besonders spannend.“ Bei ihrem aktuellen Projekt möchten sie die Kleinen ebenfalls einbeziehen: „Wir bauen gerade einen Lehmofen, da können die Kinder beim Vermischen von Lehm und Stroh helfen.“ Zur Einweihung des Lehmofens soll es ein Fest geben, bei dem jeder backen kann, was er möchte: Pizza, Brote oder Flammkuchen.
Mitmachen:
Wer mitgärtnern oder das Projekt erst einmal kennenlernen möchte, kommt am besten mittwochs zwischen 16 und 18 Uhr vorbei. Man muss nicht unbedingt aus Frohnhausen kommen, um mitmachen zu können. Der Garten ist auch außerhalb dieser Zeiten offen für alle.
Auf dem Gelände gibt es neben der großen Sitzecke einen Bauwagen, der künftig als Café mit Mittagstisch, Kaffee und Kuchen dienen soll. Im Mehrgenerationenhaus gibt es Toiletten und Waschbecken.
Gesucht sind engagierte Hobbygärtner oder Menschen, die sich gerne um die Hühner kümmern möchten. Das Alter spielt dabei keine Rolle. Wer nicht selber gärtnern, aber unterstützen möchte, kann beispielsweise seine Küchenabfälle (keine tierischen Erzeugnisse, nichts Gekochtes und keine tropischen Früchte) für den Kompost vorbeibringen.
Info
Das Mehrgenerationenhaus in Essen gehört zu den ersten Mehrgenerationenhäusern in Deutschland. Gegründet wurde es von der katholischen Pfarrgemeinde St. Maria Himmelfahrt mit der katholischen Kindertagesstätte St. Anna und dem katholischen Altenheim St. Anna. Die Idee dazu wurde 2006 durch die Bundesregierung ins Leben gerufen. Mehrgenerationenhäuser sollen das Prinzip der früheren Großfamilie in die moderne Gesellschaft übertragen.
Kontakt:
MGH
Kerckhoffstraße 22B
45144 Essen
Fon 0201 95 99 42 10
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