Besser leben in der Stadt

Durch Stadtplanung die Gesundheit verbessern

17.08.2020 - von Gudrun Heyder

Stadtplanung und Gesundheit, wie hängt das zusammen? „Fast jede politische und planerische Entscheidung hat Einfluss auf die Gesundheit der Bevölkerung“, beteuert Prof. Susanne Moebus. Sie leitet das kürzlich gegründete, deutschlandweit einmalige Institut für Urban Public Health (InUPH) an der Medizinischen Fakultät des Universitätsklinikums Essen. Es soll vor Ort arbeiten, seine Fühler aber auch international ausstrecken. Die Biologin denkt ganzheitlich und interdisziplinär – welches Bündel verschiedenster Faktoren wirkt sich auf die Gesundheit in einer Stadt aus – und ist zugleich auf Details versessen: Wie genau ist ein Wohnviertel, eine Straße gestaltet? Was brauchen die Menschen dort? Wie sähe ihr ideales Lebensumfeld aus?

Neue Herausforderungen für die Stadtentwicklung

Prof. Susanne Moebus Prof. Susanne Moebus

Klimawandel, demografischer Wandel, nun auch die Corona-Pandemie, all‘ das stellt Stadtentwicklung vor neue Herausforderungen. Städte müssen künftig völlig anders geplant werden als früher. Susanne Moebus betont, dass sich auch die Blickrichtung der Stadtplanerinnen und Mediziner ändern müsse. „Ärzte konzentrieren sich auf individuelle Krankheiten, Stadtplaner auf Infrastruktur und wirtschaftliche Interessen.“ Es gehe aber darum, gesunde Lebensbedingungen zu schaffen. Medizin müsse wieder sozialer werden, so wie es im 19. Jahrhundert gewesen sei. Da habe es Synergien zwischen Stadtplanung und öffentlicher Gesundheit gegeben, führt Moebus aus. Stichwort „Public Health“, so lautet der internationale Begriff für öffentliche Gesundheit. Diese habe man auch lange in Deutschland gefördert, bis sie in der Nazi-Diktaktur missbraucht wurde. „Etwa die Kanalisierung der Emscher vor 100 Jahren war eine Maßnahme gewesen, um die Gesundheit der Bevölkerung zu verbessern: Fäkalien raus aus dem Fluss, um Typhus und Cholera zu vermindern.“ 

Gesundheitsprävention braucht das richtige Umfeld

Kontraste einer Großstadt – Wohnhaus neben Dahlienfeld im Essener Süden Kontraste einer Großstadt – Wohnhaus neben Dahlienfeld im Essener Süden

Prävention wie zum Beispiel viel Bewegung, die von Krankenkassen belohnt wird, zielt immer auf das Verhalten einzelner Menschen ab. „Aber wer Risikofaktoren hat und ungünstige Lebensbedingungen, bei dem funktioniert Prävention schlecht. Dafür braucht es das richtige Umfeld. Wir müssen andere Verhältnisse schaffen. Und Gesundheit ist nicht die Abwesenheit von Krankheit“, erklärt die Wissenschaftlerin. Jeder vereine gesunde und kranke Anteile in sich, in unterschiedlichem Maß. Sie prangert an, dass Wohlhabende viel mehr Möglichkeiten für ein gesundes Leben haben als Arme. Die seien dann angeblich selbst schuld an ihren Krankheiten. 

Optimale Gestaltung der städtischen Umgebung

Im neuen Institut erforschen die gebürtige Bremerin und ihr derzeit 15- bis 17-köpfiges Team, welchen Einfluss die städtische Umgebung auf die Gesundheit der Menschen hat und wie es optimal gestaltet werden kann. Susanne Moebus wollte eigentlich Medizin studieren, dann wurde es Biologie, ein Master in Public Health kam hinzu. „Stadtplanung war da nicht naheliegend, ich bin so reingerutscht“, erzählt die sympathische Professorin für Urbane Epidemiologie. „Ich habe immer in Städten gelebt, aber keine Ahnung gehabt, welche Bedeutung deren Struktur für die Gesundheit hat.“

Seit ihre Kinder groß sind, lebt die Biologin dauerhaft in Essen. Seit 1996 arbeitet sie am Essener Uni-Klinikum. Die Leitung des Instituts für Urban Public Health krönt das wissenschaftliche Lebenswerk der 61-Jährigen. Die praktische Umsetzung ihrer Forschungsergebnisse ist ihr wichtig, sie residiert nicht im „Elfenbeinturm“, sondern will wissen, wie es den Menschen geht, wie sie leben, was sie sich wünschen.

Kleinräumig denken und sich vor Ort auskennen

Auf den Heidhauser Höhen haben die Menschen frische Luft, Grün und weite Blicke. Auf den Heidhauser Höhen haben die Menschen frische Luft, Grün und weite Blicke.

Und wie packt man ein so umfassendes Forschungsgebiet in einer Stadt mit 50 Stadtteilen an? „Es geht nicht darum, ganz Essen in den Griff kriegen, sondern man muss lernen, kleinräumiger zu denken. Man sollte sich vor Ort auskennen: Wie ist die Umwelt, der Verkehr, der Zugang zu Bildung, gesunden Lebensmitteln, medizinischer Versorgung, Sportmöglichkeiten, Kultur. Wenn man das weiß, kann man Schwerpunkte setzen.“ 

Susanne Moebus sieht in grüneren Städte eine maßgebliche Voraussetzung für bessere Gesundheit. Jeder solle leichten Zugang zu Parks haben, auch mit dem ÖPNV. Und die Städte müssten fahrradfreundlicher werden. Ebenfalls erforscht sie, ob Geschäfte, Arbeitsplätze, Kitas und Schulen zu Fuß erreichbar sind. Das wird die auf hyyp.de bereits vorgestellten Initiativen freuen, die sich für Stadtgrün, ökologisches Bauen und mehr Raum für sichere Fahrrad- und Fußwege einsetzen. 

Dicht geknüpftes Netzwerk ist entscheidend für Erfolg

Entscheidend für den Erfolg des Instituts ist es, optimal vernetzt zu sein. „Wir beziehen immer die Expertise andere Professionen ein“, erklärt Susanne Moebus. Ihr Team kooperiert mit den drei Universitäten im Revier: mit den Stadtplanern der Technischen Uni Dortmund, den Sozialwissenschaftlerinnen und Geografen der Uni Bochum und den Disziplinen rund um urbane Forschung an der Uni Essen-Duisburg. „Diese Zusammenarbeit ist unglaublich inspirierend.“ Engen Kontakt hält die Biologin zur Emschergenossenschaft, auch der Regionalverband Ruhrgebiet mit seiner Zuständigkeit für das gesamte Revier sei ein wichtiger Ansprechpartner. 

Metropole Ruhrgebiet: Untersuchungsfeld direkt vor der Tür

Leckereien vor der Haustür: In Frohnhausen wird in Essens angeblich bester Eisdiele Gefrorenes geschleckt. Leckereien vor der Haustür: In Frohnhausen wird in Essens angeblich bester Eisdiele Gefrorenes geschleckt.

„Es gibt eine große Offenheit für unser Thema, Viele brennen auf Veränderungen, das hat großes Potential – und das finde ich hier so sympathisch“, lobt Susanne Moebus. „Mit dem Ruhrgebiet als riesiger Metropole haben wir das Untersuchungsfeld direkt vor der Tür“, freut sich die Professorin. Gerade in Essen sei viel in Bewegung mit der drohenden Krankenhaus-Schließung im Norden, dem Aus für einen Karstadt Kaufhof-Standort und der Rettung des anderen in der City.  

Ein Projekt aus Bochum in Kooperation mit der TU Dortmund möchte Susanne Moebus auf Essen übertragen. Es geht darum, die akustische Qualität einer Stadt zu erfassen: Verkehrslärm, Vogelzwitschern, Gespräche, Musik…diese Geräuschkulisse wirkt sich auf die Gesundheit der Menschen aus. „In Essen wollen wir unserer Messungen überprüfen.“ 

Persönliche Lieblingsorte sind Steele, Huttrop, Bergerhausen

Mehr Grün in die Städte – ein wichtiges Ziel. Die Ruhr bietet viele Möglichkeiten zur Naherholung. Mehr Grün in die Städte – ein wichtiges Ziel. Die Ruhr bietet viele Möglichkeiten zur Naherholung.

Die habilitierte Biologin nennt als ihre eigenen Lieblingsorte in Essen Steele, Huttrop und Bergerhausen – und ihren Garten. Auf dem Parkfriedhof in Huttrop geht sie gerne spazieren und mag Friedhöfe generell. Das ist ungewöhnlich, denn die meisten Menschen finden an Essen den Baldeneysee toll, Zollverein und südliche Stadtteile wie Werden und Kettwig. Aber auch Susanne Moebus wissenschaftliche Karriere und ihr Forschungsgebiet sind besonders, von daher passt das. Die 61-Jährige vermittelt Lust und Energie, die Dinge anzupacken. Essen kann froh sein, dass die Forscherin hier gelandet ist. Von Oberbürgermeister Thomas Kufen liege eine Absichtserklärung vor, für die Handlungsempfehlungen des Instituts offen zu sein. Bleibt abzuwarten, ob er nach dem 13. September noch OB ist und was er oder sein Nachfolger für eine gesundere, grünere, sozialere Stadt tun werden. 

Engagement: Obdachlosen etwas Zeit schenken

Ideen, um die Bevölkerung einzubinden, gebe es bereits im Institut, so Susanne Moebus. „Aber die Kapazitäten zur Umsetzung fehlen uns noch.“ Sie möchte Bürgerinnen und Bürger einbeziehen, „um Orte aus ihrer Sicht genau zu kartieren, zu erfahren, wo sie sich wohlfühlen.“ Auch eine Umfrage unter Jugendlichen ist geplant: „Wir wollen ihre sozialen Bezugsräume erforschen und herausfinden, an welchen Orten sie sich verstecken und wo sie sich präsentieren. Die Jugend ist eine ganz wichtige Lebensphase, die jetzt unter Corona eingeschränkt wird.“

Menschen, die selbst das (soziale) Klima in ihrer Stadt verbessern möchten, gibt Prof. Susanne Moebus einen unerwarteten Tipp: „Gucken Sie hin, begeben sie sich in Augenhöhe zu Obdachlosen. Schenken Sie ihnen etwas Zeit, sprechen sie mit ihnen, das ist noch wichtiger als ihnen etwas Geld zu geben. Empathie und Solidarität sind auch für die eigene Gesundheit förderlich.“ 

INFO und Kontakt

Die Fritz und Hildegard Berg-Stiftung im Stifterverband sponsort die Institutsgründung mit 750.000 Euro über fünf Jahre im Rahmen ihrer Förderinitiative „Stadt der Zukunft“. Zweck der Stiftung ist die Förderung medizinischer Wissenschaft und Forschung.

Prof. Dr. rer. nat. Susanne Moebus, Leiterin Institut für Urban Public Health, Universitätsklinikum Essen, Tel. 0201 / 72377-230, susanne.moebus@uk-essen.de

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