Klare Zeichen gegen Hass und Ausgrenzung

„Steele bleibt bunt“ setzt klare Zeichen gegen Hass und Ausgrenzung

19.08.2020 - von Jennifer Humpfle

„Ich habe ganz am Anfang gedacht, dass ist nur ein kurzes Phänomen.“ Claudio Gnypek war nicht der einzige Steeler, der diese Hoffnung hatte. Als jedoch die Wochen ins Land zogen, wurde klar, dass diese neue Bewegung keine Eintagsfliege war. Etwas über zwei Jahre liegt es nun zurück, dass die sogenannten „First Class Crew - Steeler Jungs“ unter dem Vorwand eines unpolitischen Spaziergangs Woche für Woche durch die Steeler City marschieren. Ein wenig Recherche zeige jedoch, wer hier hauptsächlich unterwegs ist: gewaltbereite Hooligans und Menschen, die dem äußersten rechten Spektrum zuzuordnen sind. Eine rechte Bürgerwehr im sonst so beschaulichen Steele – das wollten und wollen viele Steeler nicht hinnehmen. Auf Initiative von Irene Wollenberg entstand deshalb das Bürgerbündnis „Mut machen – Steele bleibt bunt.“

Info:

Die „Steeler Jungs“ bzw. „First Class Crew – Steeler Jungs“ sind seit Mitte 2017 wöchentlich im Stadtteil Steele unterwegs und geben vor, die Bürger beschützen zu wollen. Ableger gibt es in Borbeck, Huttrop und Altenessen. Dort konnten sich die Gruppen aber nicht fest etablieren. Die „Steeler Jungs“ werden vom Verfassungsschutz als „bürgerwehrähnliche Gruppierung“ bezeichnet und stehen seit 2019 unter Beobachtung.

Nicht zum Gespräch bereit

Keine rechte Bürgerwehr in Steele – Die Gegendemo war gut besucht Keine rechte Bürgerwehr in Steele – Die Gegendemo war gut besucht

In der ersten Zeit organisierten die engagierten Bürger*innen vor allem Aktionen und Gegendemos, waren präsent, wenn die 60 bis 80, meist dunkel gekleideten Männer durch Steele liefen. Auf ihren Plakaten steht in bunten Farben kurz und knapp, wofür das Bündnis steht: „Vielfalt“, „Toleranz“, „Demokratie“. Am Rande der Demos suchte der bunte Haufen aus Männern und Frauen, Jung und Alt, mit verschiedenstem Background das Gespräch mit den „Steeler Jungs“, jedoch vergebens. Auf die Frage „Wer seid ihr eigentlich?“ gab es keine Antwort oder ein „Ich darf nichts sagen“. „Wenn mal einer etwas gesagt hat, kamen direkt andere und haben sich vor ihn geschoben“, sagt Claudio Gnypek. Es sei deutlich, dass einige den Pulk kontrollieren, dafür sorgen, dass sich keiner auf Gespräche einlässt oder stehen bleibt.

Jeder macht das, was er kann

Claudio Gnypek, Irene Wollenberg und Ewald Meyer sind die Sprecher des Bündnis Claudio Gnypek, Irene Wollenberg und Ewald Meyer sind die Sprecher des Bündnis

„Wir sind eine kleine Gruppe, die viel macht“, betont Gnypek. Der „harte Kern“ bestehe aus 30 engagierten Bürger*innen, die sich regelmäßig im Plenum treffen; gut 300 werden per Email über Aktionen informiert. „Wir machen sichtbar, dass es in Steele viele Menschen gibt, die diese Bürgerwehr nicht haben wollen und für ein weltoffenes, tolerantes und buntes Steele stehen.“ Irene Wollenberg war zunächst alleinige Sprecherin von „Steele bleibt bunt.“ Etwas später stießen Claudio Gnypek und Ewald Mayer als Sprecher dazu.  „Ich habe das irgendwann wahrgenommen und gedacht, da muss man etwas machen. Das kann man nicht einfach so hinnehmen“, betont Gnypek und ergänzt: „Jeder sollte sich einsetzen, mit dem was er hat und kann.“ Wer nicht auf der Straße präsent sein möchte, kann im Hintergrund helfen. Wer lieber Kontakte knüpft, als organisiert, treibt die Vernetzung voran und so weiter. 

Gemeinsam für die Demokratie und gegen Rechts kämpfen

Die Demokratie verteidigen, Zeichen setzen gegen den sich ausbreitenden Rassismus und Nationalismus, Hass und Ausgrenzung – das sind die erklärten Ziele des Bündnis. Dass sie mit diesem Wunsch nicht alleine sind, zeigt das große Interesse an ihrem Engagement: So stehen sie im Kontakt und Austausch mit Kirchen, Sportvereinen, dem Kulturzentrum Grend und ansässigen Moscheevereinen. Unterstützung erhalten sie zunehmend von Musikern und Künstlern, die an Aktionen teilnehmen möchten – ebenso von der Kampagne „Aufstehen gegen Rassismus“, „die zwar etwas lauter sind als wir, aber ebenso friedlich das gleiche Ziel verfolgen“. Das Bündnis „Essen stellt sich quer“ steht den engagierten Steelern nicht nur zur Seite, sondern liefert wertvolle Infos zu Hintergründen und Verstrickungen der rechten Gruppierungen. „Die sind super in der Recherche und wissen, wer, wie wo vernetzt ist.“ Sehr hilfreich, um das Ausmaß der „Spaziergänge“ in Steele einzuordnen und um zu wissen, dass ab und an auch vorbestrafte Aktivisten aus dem rechten Spektrum vor Ort sind.

Langen Atem beweisen

Wertvolle Erfahrungswerte erhält „Steele bleibt bunt“ zudem aus anderen Städten wie Dortmund. „Zum Teil haben wir den Kontakt gesucht, zum Teil wurden wir angesprochen.“ Im Austausch mit anderen Engagierten könne man viel voneinander lernen. „Wir haben irgendwann gemerkt, dass uns etwas die Puste ausgeht, wenn wir jede Woche eine Aktion starten“, erklärt Claudio Gnypek. Schließlich finde das ehrenamtliche Engagement komplett in der Freizeit statt. „Unsere Gespräche mit den Dortmundern haben unseren Eindruck bestärkt, dass wir dieses Problem nicht so schnell los werden und deshalb mit unseren Kräften haushalten müssen.“ Deshalb setzt das Bündnis vermehrt auf Aufklärung: „Es gibt in unserer Gesellschaft viele – bereits in der Kindheit verankerte – Bilder, die Rassismus begünstigen. Das muss man zunächst sich selber und dann anderen klar machen, um sich gemeinsam für einen weltoffenen Stadtteil einzusetzen.“

Sich der Gefahren bewusst werden

Manche verharmlosen die Gruppierung oder kennen Mitläufer, die angeblich ganz nett sind. „Wie gefährlich die aber wirklich sind und mit welchen Menschen sie sich umgeben, ist vielen Bürgern nicht bewusst, weil es nicht offen zur Schau gestellt wird.“ Hakenkreuzkuchen bei Geburtstagsfeiern und das gelegentliche Zeigen des Hitlergrußes seien jedoch keine Seltenheit. Die „Steeler Jungs“ machen sich gemein mit der „Bruderschaft Deutschland“, die schon länger unter Beobachtung des Verfassungsschutzes steht. Gleiches gilt mittlerweile für die „Steeler Jungs.“ (Verfassungsschutzbericht NRW 2018 https://www.im.nrw/system/files/media/document/file/VS_Bericht_2018_JB_2018.pdf). „Sie verbreiten keine offene Botschaft, schüchtern aber mit ihrem geballten Auftreten Menschen ein.“ In einem Stadtteil wie Steele, kennt man sich untereinander und bleibt nicht lange anonym. So fanden die „Steeler Jungs“ raus, dass sich das Bündnis zunächst im Kulturforum traf und machte Fotos von Teilnehmern, habe sogar einen bis nach Hause verfolgt, um dort weitere Fotos zu schießen. „Natürlich haben wir die Polizei informiert, aber bis die vor Ort waren, waren die Verantwortlichen über alle Berge.“

Bündnis kritisiert, dass „Steeler Jungs“ nicht gesamtstädtisch gesehen werden

Mit guter Laune für Toleranz: Musiker beim Bunten Donnerstag am Kaiser Otto Platz Mit guter Laune für Toleranz: Musiker beim Bunten Donnerstag am Kaiser Otto Platz

Abschrecken lassen sich die Engagierten durch so etwas jedoch nicht. Im Gegenteil: Mit Lesungen, Informations- und Kulturveranstaltungen wollen sie zeigen, was buntes und weltoffenes Leben heißt. Ein großer Erfolg war die Bürgerversammlung im Februar 2020 – mit rund 550 Gästen war die Friedenskirche proppenvoll (https://www.steelebunt.de/rueckblick-buergerversammlung/). „Das zeigt, dass es viele gibt, die unsere Meinung teilen – auch wenn sie nicht auf die Straße gehen.“ Einige kritische Stimmen gebe es auch: „Manche sagen, dass die ,Steeler Jungs‘ nur noch unterwegs sind, weil wir auch da sind“, sagt Claudio Gnypek und schüttelt den Kopf. „Wir machen schon lange keine Gegendemos mehr und trotzdem sind sie noch da. Das zeigt ja, dass das Unsinn ist.“ Umso wichtiger sei es, weiter im Gespräch zu bleiben. Die nächste Veranstaltung, eine Podiumsdiskussion mit vier Oberbürgermeister-Kandidaten, ist bereits ausverkauft. „Wir freuen uns, dass wir mit den Politikern in Kontakt sind.“ Der Austausch und die Zusammenarbeit müsse aber vertieft werden: Nur wenn Politik, Ordnungsamt, Polizei und Zivilgesellschaft an einem Strang ziehen, können nachhaltig Ergebnisse erzielt werden. In Hamm sei man auf diese Weise ein rechtes Zentrum losgeworden, berichtete das „Antifaschistische Jugendbündnis Hamm Haekelclub590“ dem Steeler Bündnis. Die „Steeler Jungs“ müssten in der gesamten Stadt und nicht nur als Stadtteilproblem wahrgenommen werden, um gemeinsam gegen die Bewegung vorzugehen. „Ich wünschte mir, dass uns Politik und Co da stärker zur Seite stehen. Gerne wie in Dortmund, wo es einen runden Tisch gibt, an dem alle zusammenkommen.“

Mitmachen:

Das Bündnis „Mut machen - Steele bleibt bunt“ trifft sich regelmäßig zum Plenum im Kulturzentrum Grend, Westfalenstraße 311. Die aktuellen Termine gibt es auf der Homepage www.steelebunt.de oder auf der Facebookseite des Bündnis.

Mitmachen kann jeder. Das Plenum ist ein offenes Treffen, sodass jeder dazukommen kann, um mitzusprechen, eigene Ideen einzubringen oder um sich bei Aktionen und Veranstaltungen zu engagieren. Gesucht sind Menschen, die sich für ein offenes, tolerantes und respektvolles Miteinander einsetzen möchten und sich klar gegen Hass und Ausgrenzung positionieren.

Da das Bündnis unabhängig ist und sich über Spenden finanziert, werden zudem regelmäßige Sponsoren gesucht.

Jeden ersten Donnerstag im Monat organisiert „Steele bleibt bunt“ einen „Bunten Donnerstag“ mit bunten Aktionen auf dem Kaiser Otto Platz.

Kontakt:

„Mut machen – Steele bleibt bunt“
Grend, Westfalenstraße 311
45276 Essen

www.steelebunt.de
info@steelebunt.de
www.facebook.com/SteeleBleibtBunt/ 

„Essen stellt sich quer“
(Räume des Anti-Rassismus-Telefon)
Steubenstraße 49
45138 Essen

www.essq.de 
www.facebook.com/essenquer

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