Rollendes Minitheater

Viele „Fenster zur Kunst“ öffnen sich für Tanz, Theater und Musik

23.04.2020 - von Gudrun Heyder

Tanz im rückenfreien Abendkleid bei acht Grad

Anette Häuser fängt an zu singen, für einen Kanon zum Mitmachen sind es noch zu wenige Hausbewohner. Dann singt sie eben solo. Am Mittag war Jelena Ivanoviv schon einmal mit Anna Wehsorg hier. In einem rückenfreien roten Abendkleid hat die Tänzerin vom Wuppertaler Pina Bausch-Ensemble bei acht Grad Celsius zu 60-er-Jahre-Musik getanzt. Der ehemalige Essener Kulturdezernent Andreas Bomheuer ist mit einer himmelblauen italienischen Ape vorgefahren und hat die Kulisse gebildet. Auch er gehört zum weit gespannten Netzwerk der Essener Kulturmanagerin. 

Genehmigung nur unter strengen Auflagen

Jelena Ivanovic achtet streng darauf, dass maximal zwei Künstler*innen einen Auftritt bestreiten. Und sie sucht für die Aktionen Häuser ohne oder mit kleinen Balkonen aus, um das Versammlungsverbot während der Viruskrise strikt einzuhalten. Unter diesen Bedingungen hat die Stadt Essen die „Fenster zur Kunst“ trotz anfänglicher Skepsis genehmigt. Öffentlich ankündigen darf Jelena Ivanovic die Auftritte nicht, nur intern per Aushang in den jeweiligen Häusern einen Tag zuvor. 

50 Kurzauftritte vor allem im Essener Norden

 „Let it be“ von den Beatles erklingt in hellem Sopran, dann ein Kirchenlied von einem Engel, der Licht ins Dunkel bringt. Ein vorbei gehendes Paar lauscht von der Straße aus, aus dem Garten gegenüber schaut ein Vater mit Kleinkind zu. Die Hausbewohner applaudieren und winken, aber nicht alle lassen sich blicken. „Heute Mittag drohte ein Mann sogar damit, die Polizei zu holen,“ berichtet Jelena Ivanovic. Jedes „Fenster zur Kunst“ dauert nur zehn bis 15 Minuten, aber auch das ist einigen Menschen schon zu viel. Die Essener Künstlerin, die auch mit dem Format „Kunstbaden“ bekannt ist, lässt sich davon nicht beirren. Fast 50 Auftritte vor allem in den nördlichen Stadtteilen stellt sie vorerst bis zum 19. April auf die Beine, „mit einem Vorlauf von nur fünf Tagen“. Alle Achtung! Das gelingt nur einem Vollprofi. 

Sängerin und Organisatorin danken den Hausbewohner, und dann sind sie auch schon wieder weg, unterwegs zum nächsten Auftritt. Eine Hausbewohnerin ruft ihnen noch zu: „Vielen Dank, das habt Ihr toll gemacht!“ 

„Wilder Ritt“ für die Essener Kulturmanagerin

„Das ist ein wilder Ritt für mich!“, sagt Jelena Ivanovic und freut sich, dass sie ihre Idee mit so vielen anderen Künstler*innen umsetzen kann. Sie sind froh, dass sie in der Corona-Krise wenigstens auf diese Weise auftreten können, denn alle Theater und Konzerthäuser sind geschlossen. Jelena Ivanovic ist es wichtig, ausschließlich mit professionellen Künstler*innen zu arbeiten, deren Lebensunterhalt nun ganz oder teilweise wegfällt. Kolleg*innen wie der Essener Pianist Markus Stollenwerk, der Hip-Hop-Tänzer Murat Alkan, Schauspielerin Esther Krause-Paulus, Schauspieler Roland Riebeling und Rainer Besel vom Theater Freudenhaus machen voller Elan mit. 

Inspiriert vom Balkongesang in Italien

„Ich habe die Bilder von den Italienern gesehen, die auf ihren Balkonen musizieren, und von Polizisten auf Mallorca, die mit Blaulicht vorfahren, aussteigen und für Kinder singen. Ich fand die Idee gut, dass die Leute an Kultur teilhaben können, obwohl sie in ihren Wohnungen bleiben müssen.“ Vielfach sei sie gebeten worden, Onlinekurse anzubieten, aber „ich brauche den direkten Kontakt, sonst fühle ich mich nicht lebendig.“ So entstand die Idee zu den Kunstfenstern Ende März.     

Fortsetzung auch nach den Osterferien

Kindertheater, Lesungen, Poetry Slam und ein Hip-Hop-Workshop gehören zum Programm, das sich mal an Senioren, mal an die Kleinen und mal an alle richtet. Die beteiligten Künstler*innen möchten zeigen, dass sie ihren Beitrag zum Zusammenhalt der Gesellschaft auch in schwierigen Zeiten leisten wollen. Zurzeit ist die umtriebige Kulturmanagerin und Choreografin mit der AWO und Krankenhäusern im Gespräch, um die „Fenster zur Kunst“ auch nach den Osterferien fortsetzen zu können. Denn dort werden wohl auch weiterhin noch strikte Kontaktsperren gelten.  

Motivation: den Menschen ein Lächeln entlocken

Möglich ist die große Kulturaktion dank der Zuschüsse von Sparkasse, Kulturrucksack und den Wohnungsbaugesellschaften Allbau und Vonovia. „Die sind begeistert, dass wir mit unserer mobilen Bühne zu ihren Mietern kommen,“ erzählt Jelena Ivanovic. Wochenlang täglich von Stadtteil zu Stadtteil zu fahren und die gesamte Verantwortung für das Projekt zu tragen, strengt sie an und macht ihr viel Spaß. „Zu spüren, dass die Menschen sich über uns freuen und ihnen ein Lächeln zu entlocken ist genau der Grund, warum ich das hier mache und warum ich meine Arbeit so liebe.“ 

INFO

Wer die „Fenster zur Kultur“ unterstützen oder Kontakt knüpfen möchte, kann sich hier melden: info@jelena-ivanovic.com und www.jelena-ivanovic.com/fenster-zur-kunst/ 

Zur Person: Jelena Ivanovic

Die 43-jährige gebürtige Essenerin besuchte das Werdener Tanzgymnasium, ist ausgebildete Tänzerin und Choreografin, hatte Engagements in aller Welt, leitete mit ihrem früheren Ehemann eine Tangoschule in der Schweiz und hat am Bochumer Schauspielhaus als Choreografin gearbeitet. Die Rüttenscheiderin unterrichtet Tango und Yoga, außerdem initiiert, organisiert und leitet sie vielfältige Kulturprojekte, choreografiert eigene Tanz- und Theaterproduktionen und ist im Vorstand des Essener Kulturbeirat. Für August plant sie - so Corona sie lässt - die Premiere ihrer neuen Produktion „Heimat?“.     

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